Hildegard Knef (1925-2002)

Keine Zeit für Stolz

Die Schauspielerin und Chansonlegende Hildegard Knef wäre am 28. Dezember 2015 90 Jahre alt geworden. 2002 starb der glamouröseste deutsche Weltstar nach Marlene Dietrich in Berlin. Mit ihrer Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ machte sie 1970 auch literarisch Furore

Sie war die Ikone einer Generation von Müttern und Töchtern, die aufmüpfig und intellektuell und doch Frau sein wollten – nicht so schräg und absturzgefährdet wie Nico, nicht so philosophisch abgehoben wie Juliette Gréco. Hildegard Knef, das war die Berliner, die bodenständig-deutsche Variante des französischen Existentialismus: blond statt tiefschwarz, in aufwendigen Rüschenroben statt schlichtem Rollkragen, verlässlich umweht vom geborgten Glamour ferner Hollywoodstars. Vom „intellektuellen Sex“ der Knef sprach denn auch stern-Herausgeber und Freund Henri Nannen; zur „woman and a half“ stilisierte sie Schauspielerkollege und Ex-Ehemann David Cameron. Die kluge Knef wusste um ihre Ausstrahlung. Sie inszenierte sich permanent rauchend, redete von Poesie, kultivierte ihre markante, untergründig erotische Stimme, gab sich mal kumpelhaft, mal undurchdringlich. Ihre durch überdimensionale künstliche Wimpern und viel schwarze Schminke offensiv betonten Augen waren Aufforderung und Warnung zugleich: Schaut mich an, aber den letzten Blick in meine Seele verwehre ich euch. Die Augen der Knef glommen wie das Brandmal eines Traumas, das sie, nach eigenem Bekunden, bis zu ihrem Lebensende mit sich herumtrug. Aus ihm bezog sie ein Leben lang ihre bezaubernde Melancholie.

Hildegard Frieda Albertine Knef war knapp zwanzig Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. In ihrer 1970 erschienenen, rasant erzählten Autobiografie Der geschenkte Gaul – ein Buch, von dem 750 000 Hardcover-Exemplare verkauft wurden und das seine Autorin mit einem Schlag national und international berühmt machte – nimmt der „Wahnwitz“ der Kriegs- und Nachkriegszeit (Knef) breiten Raum ein. Zentral: Die Ungeheuerlichkeit, tagelang neben einer toten Frau in einem völlig dunklen Loch eingesperrt zu sein. Dieses Erlebnis zeichnet sich auf dem Gesicht der jungen Schauspielerin ab und macht die Nähe des Leidens in Filmen wie Die Mörder sind unter uns (1947), Entscheidung vor Morgengrauen (1951; mit Oscar Werner), und Nachts auf den Straßen (1952; mit Hans Albers) spürbar. Und es generiert diesen fast sprichwörtlich gewordenen Überlebenswillen der Knef, ihre beneidenswerte Fähigkeit, sich gegen alle Fährnisse des Berufs und des Privatlebens trotzig zu behaupten. Dass der eine oder andere Biograf in der letzten Zeit die historische Richtigkeit einiger Schilderungen anzweifelt, ändert nichts an der Tatsache, dass Hildegard Knef eben nicht nur für ihre Erfolge, sondern gerade auch wegen ihres multiplen Scheiterns geliebt wurde – getreu dem Grundsatz: Wahr muss es nicht sein, aber stimmen muss es. In diesem Sinne nannte sie Von nun an ging’s bergab, einen ihrer 60er-Jahre-Hits, der sich aus Misserfolgen und Rückschlägen in ihrem Leben speist, nicht ohne Selbstironie einen „Lebenslauf wider den tierischen Ernst“.

Nicht genug zu feiern ist die künstlerisch vielfach begabte Hildegard Knef. Frühe Erfolge als Sängerin waren ihr bereits in den USA beschert, wohin sie 1947 mit hohen Erwartungen aufgebrochen war, aber als Schauspielerin in der „Hollywood-Diktatur“ (Knef) nicht den erhofften Erfolg erzielte. Erst das Musical Silk Stockings machte sie 1954 am Broadway berühmt. Zurück in Europa, drehte sie einige „falsche“ Filme (Knef), die ihr das Fußfassen zuhause nicht eben erleichterten. Zäh und energisch versuchte sie, sich gegen das Misstrauen zu behaupten, das ihr die Deutschen entgegenbrachten – wie schon vor ihr Marlene Dietrich und nach ihr Romy Schneider, die ebenfalls das Land verlassen hatten und als „Verräterinnen“ beschimpft wurden. Mit dem Erfolg ihrer Chansons, die in ganz eigener Weise die lässige Eleganz des Jazz und die schauspielerische Interpretation mit der Eingängigkeit des Schlagers verbinden, schien Hildegard Knef rehabilitiert. Sie begann zunächst mit literarischen Songs von Brecht, Tucholsky und Brel, sowie mit Jazz-Standards und stieg später auf eigene Texte um, die ihre Karriere als Autorin und Schriftstellerin begründeten. Als „größte Sängerin der Welt ohne Stimme“ (Ella Fitzgerald) setzte sie auch in ihren Chansons am eigenen Leben an (Für mich soll’s rote Rosen regnen). Sie stattete den Alltag mit Poesie und trockenem Humor aus (Ich brauch Tapetenwechsel) und besang die ambivalente Schönheit ihrer Heimatstadt (Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen). Die wenigen Sekunden der Nacktheit, mit denen sie als Sünderin (Willi Forst, 1951) die prüde Filmnation einst in Wallung versetzt hatte, wurden Teil des kollektiven Gedächtnisses.

Außergewöhnlich experimentierfreudig und stets neugierig auf das Leben, blieb Hildegard Knef am Puls der Zeit. Sie äußerte sich, als es um 1968 Mode war, in Interviews über das Thema Kollektivschuld. Sie bewegte sich in Gesellschaft illustrer Namen, darunter Henry Miller und Willy Brandt, und knüpfte an neue Strömungen in der Pop-Musik an, indem sie in den frühen 70er Jahren ein damals weniger beachtetes Album mit den Les Humphries Singers aufnahm (Worum geht’s hier eigentlich). Immer aber blieb ein Rest an Inkompatibilität, mit dem sie sich Vereinnahmungsversuchen widersetzte.

1970 machte ihre Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ bei Kritik und Publikum Furore. Das Buch stürmte Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, wurde in 17 Sprachen übersetzt und als Weltbestseller zum international erfolgreichsten Buch eines deutschen Autors seit 1945. Anlässlich einer Lesereise in den USA schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1971 euphorisch: „Die Kritiken waren ausnahmslos begeistert, weil hier zum ersten mal jemand berichtet, wie es damals war … jemand, der weder Dichter noch gelehrter ist, also ohne jede Verfremdung und Distanz das eigene Leben in den Hitlerjahren und danach freimütig ausgebreitet hat. Dabei war es nicht der Show-Star, sondern die offenherzige Deutsche, die Eindruck in Amerika gemacht hat, ihr intensiver Ernst, die couragierte Offenheit, mit der sie auch Unpopuläres vorbringt, Risiken nicht ausweicht, eine Ehrlichkeit, die ihr Publikum so ergreift, dass die Leute von der Akademie der Fernsehkünstler, die ihr in New York ein Essen gaben, sich am Ende erhoben und ihr eine Ovation darbrachten.“ Für ihre Bemühungen um das Ansehen Deutschlands in der Welt 1975 erhielt Hildegard Knef das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. „Der geschenkte Gaul“ hat bis heute eine Auflage von 3 Mio. Bänden erreicht; 2009 wurde das Buch unter dem Titel „Hilde“ mit Heike Makatsch kongenial verfilmt.

Auf der Höhe des Ruhms – sie ist 47 Jahre alt und hat eine fünfjährige Tochter – erkrankt Hildegard Knef an Brustkrebs. Sie, die sich nie gescheut hatte, das Privateste mit der Öffentlichkeit zu teilen („Öffentlichkeit ist mein Beruf!“) konnte, begabt mit einem mächtigen Ego, auch dieses Schicksal annehmen. Freimütig bekannte sie, methadonsüchtig zu sein und rechnete in ihrem Buch Das Urteil schonungslos mit Ärzten ab. Ein solcher Wagemut muss wohl auch als Teil der Maßlosigkeit gesehen werden, aus dem die Aura echter Stars gemacht ist. Noch die alt und krank gewordene Diva versprühte den Glamour des Weltstars. In der wunderbaren Film-Dokumentation A Woman And a Half aus dem Jahr 2001 erlebt man eine stille Knef, die darauf beharrt, dass ihr Selbstbild nicht mit dem Fremdbild der Öffentlichkeit übereinstimmt. Gewohnt trotzig besteht sie darauf, weniger aggressiv und viel ängstlicher, vorsichtiger zu sein als bisher angenommen. Sie erzählt von der Einsamkeit des Alters, von ihrer Abscheu vor Misstrauen, das einem das Leben vergälle und darüber, dass man sich zwar auf das Glück vorbereiten, es aber nicht forcieren kann. Ob sie auf ihr Lebenswerk stolz sei, wird sie gefragt, während sie mit ihrem dritten Ehemann Paul von Schell im Wagen durch New York fährt. Ihr lakonischer Kommentar: „Nein. Wer Zeit hat stolz zu sein, ist eh ein elendes Häufchen Nichts.“