Johanna Schopenhauer (1766 – 1838)

Gehorsames Herzenskind

Johanna Schopenhauer, Mutter des berühmten Philosophen Arthur Schopenhauer, war bereits zu Lebzeiten eine gefeierte Schriftstellerin und Dame der Gesellschaft. In ihrem Weimarer Salon war auch Goethe gern zu Gast. Vor 250 Jahren, am 9. Juli 1766, wurde sie in Danzig geboren.

Als die bereits an den Rollstuhl gefesselte Johanna Schopenhauer mit über 70 Jahren die Geschichte ihres Lebens aufschreibt, möchte sie vor allen Dingen eines nicht: Sie möchte ihre Leser nicht langweilen. Das Erzählen, schreibt sie – und denkt vielleicht an den noch nicht lange verstorbenen Gast ihres Weimarer Salons, den Geheimrat Goethe – ist die beste Altersunterhaltung. Ihr ist wichtig, dass das Rein-Persönliche hinter das beabsichtigte „Sittengemälde meiner Zeit“ – wie sie sagt – zurück tritt. Und sie beteuert: „Mit meinen Herzensangelegenheiten will ich die Welt ganz verschonen“.

Herzensangelegenheiten“ in Hülle und Fülle hat Johanna bereits in ihre viel gelesenen Entsagungsromane gepackt. Diese handeln von reichlich exzentrischen weiblichen Gefühlen – wie der Roman „Gabriele“ aus dem Jahr 1820. Die Autorin selbst aber möchte weder als kühl-gelehrtes noch als exzentrisch-poetisierendes, sondern als ein ganz normales junges Mädchen gesehen werden. Als gelehrter Blaustrumpf jedenfalls will die Berufsschriftstellerin und Freundin berühmter Persönlichkeiten auch nach vielen literarischen und kulturhistorischen Veröffentlichungen auf keinen Fall gelten. Sie sei vielmehr „eine heitre, anspruchslose alte Frau, der man im geselligen Umgange die Schriftstellerin gar nicht anmerkt“. Und darauf, so schreibt sie weiter, „bilde ich mir etwas ein“.

In ihrer Autobiografie „Jugendleben und Wanderbilder“ (1839) zeichnet Johanna Schopenhauer ein ungetrübtes Bild ihrer frühen Kindheit. Doch auch sie erlebt Dinge, die die Sicht des Mädchens auf ihr Leben entscheidend verändern: In ihrer Geburtsstadt Danzig wird die kleine Jeanette (eigentlich Johanna Henriette) Trosiener Augenzeugin von Lynchjustiz, Spießrutenlaufen und Verhaftungen und sieht sich zum ersten Mal mit existentieller Angst konfrontiert. Ihre republikanische Gesinnung, ihre Weltoffenheit und Toleranz, so betont sie, stammen aus der Zeit ihrer Kindheit, die sie in der multikulturellen pommerschen Stadt an der Ostsee verbringt. Dazu liest Johanna heimlich die ihr streng verbotenen alten Griechen und Römer. Hebt Johanna im Alter auch immer wieder hervor, welch unspektakuläre Frau sie sei, so verzichtet sie jedoch nicht darauf, die kleine Jeanette als etwas ganz besonderes hervorzuheben. Jeanette ist nicht nur die Lieblingsschülerin aller Lehrer in den Danziger Schulen, sondern auch das ‚Herzenskind’ ihres Privatlehrers Jameson. Als Erwachsene avanciert sie zur favorisierten Gesprächspartnerin berühmter Männer und ist ein eloquenter und gern gesehener Gast in fremden Ländern, die sie in Begleitung ihres Ehemannes, eines begüterten Danziger Geschäftsmannes, bereist.

Doch Johanna sieht sich auch mit größeren Enttäuschungen konfrontiert. Ihre unglückliche erste Liebe erwähnt sie nur am Rande. Ausführlich dagegen erzählt sie von ihrem Herzenswunsch, Malerin zu werden. Der Vater reagiert spöttisch und streng auf das für eine Tochter der besseren Gesellschaft unmögliche Ansinnen. Johanna: „Und noch jetzt nach mehr als sechzig Jahren, verweile ich ungern bei der Erinnerung, wie unbarmherzig er meinen kindisch-abgeschmackten Einfall, wie er ihn nannte, verlachte.“

Trost sucht die Zehnjährige – ganz Republikanerin und Tochter des aufgeklärten Zeitalters – in vernünftigen Gedanken, mit denen sie ihre Verletzung überspielen will: Der „Geist der Zeit“ war eben gegen solche hochfliegenden Frauenträume. Die vernünftige Jeanette ergibt sich dem Schicksal der höheren Tochter. Doch ihren Traum hat sie, so scheint es, niemals ganz aufgegeben: Sie wird später kunsthistorische Schriften verfassen und ihre Lebensgeschichte mit bildhaften Beschreibungen aus dem Bereich der Malerei ausstatten. Weil lockere Unterhaltung ihr oberstes Gebot ist, zeigt sich Frau Schopenhauer „im ganzen wohl zufrieden“ und behält im Alter trotz allem „ein wunderbar weiches, aus Freude und Leid zusammengesetztes Gefühl“ zurück.

Gehorsames Herzenskind bleibt Johanna auch in der Vernunftehe mit dem 20 Jahre älteren Patrizier Heinrich Floris Schopenhauer. Die durch ihre Heirat erzwungene „gänzliche Umwandlung (ihrer) gewohnten Existenz“ – sprich: die Einsamkeit und Einförmigkeit ihres Lebens als Ehefrau – meistert sie angeblich durch „guten Willen“, „Jugendmut“ und „Mutterwitz“. Doch ihre Romane sprechen eine andere Sprache. Sie erzählen von tragischen Heldinnen, die auf ihre wahre Liebe verzichten und in unglücklichen Konvenienzehen lieblosen, tyrannischen Gatten ausgeliefert sind – ein Schicksal, mit dem sie sich demütig abfinden.

Johanna Schopenhauer bemühte sich sehr, eine vorbildliche, gebildete, aber nicht ‚gelehrte# Bürgersfrau zu werden. Ihre Leben war von strengen Normen geprägt, die sie nicht in Frage stellte. Nicht eigentlich emanzipiert, wurde sie dennoch zu einer Pionierin auf dem Gebiet weiblichen autobiografischen Schreibens. Vor ihr haben Frauen nur sehr selten über ihr Leben berichtet, während sich bereits zahlreiche Männer in ihren Memoiren selbstbewusst ein Denkmal gesetzt hatten. Einer davon ist Johannas verehrtes Vorbild Johann Wolfgang Goethe, der mit „Dichtung und Wahrheit“ die Vorgabe für eine ganze Epoche bürgerlicher Lebensbeschreibungen lieferte. Johanna Schopenhauer starb am 16. April 1838 in Jena, wohin sie, krank, verarmt und ausgestattet mit einer Ehrenpension des Weimarer Herzogs Karl Friedrich, im Jahr vorher mit ihrer Tochter Adele gezogen war. Auch Adele wurde Schriftstellerin, konnte sich im Bewusstsein der literarischen Welt jedoch nicht neben ihrer glamourösen Mutter und dem Ruhm ihres Philosophen-Bruders Arthur behaupten.